Pflege Politik

Mehr Kompetenzen für die Pflege: Weshalb der Bundesrat falsch rechnet

Mindestens 80 Millionen würde es kosten, wenn Pflegefachpersonen gewisse Entscheide ohne ärztliche Aufsicht fällen könnten: Dies behauptet der Bundesrat. Pflegefachmann Florian Lüthi widerspricht: Die Praxis sieht anders aus.

Seit dem 27. April ist es amtlich: Die sogenannte Initative Joder, welche die eine «gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege» fordert, wird vom Bundes- und Nationalrat abgelehnt. Jetzt bereitet der schweizerische Berufsverband der Pflegefachpersonen SBK eine Volksinitiative vor, um dem Anliegen doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Gegner des Anliegens befürchten insbesondere eine Mengenausweitung sowie eine fehlende Kontrolle der pflegespezifischen Leistungen. Also absurderweise genau jener Leistungen, welche diplomierte Pflegefachpersonen in der Praxis selbständig einschätzen, primär der bei der Spitex (ambulant), aber auch in Alters- und Pflegeheimen.

Der Bundesrat hatte zuvor einen Bericht veröffentlicht, in dem er Mehrkosten von 30 Millionen Franken in den Heimen und von mindestens 50 Millionen in der ambulanten Pflege voraussagte, wenn die Pflegefachleute – wie die «Initiative Joder» es verlangt – mehr Entscheide ohne ärztliche Aufsicht fällen können.

Die Frage, die sich hier jedoch stellt, lautet: Warum sollten diplomierte Pflegefachpersonen neu höhere Kosten für den Pflegebedarf errechnen? Wieso sollte es ohne ärztlichen Auftrag mehr Spitexverordnungen mit höherem Aufwand geben?

Der Irrglaube der ärztlichen Gatekeeper

Gerade auch Santésuisse kann keine Begründung liefern, warum dies passieren würde; der Branchenverband der Krankenversicherer ist eine wichtige Quelle für die Stellungnahme des Bundesrates. Da stellt sich auch die Frage, wie solch eine esoterische Wahrsagerei in den Bericht kommt.

Faktisch ist es heute schon so, dass der Pflegebedarf in den Heimen und bei der Spitex von den Pflegenden festgelegt wird. Und manch ein Hausarzt bestätigt, dass er oft Spitexverordnungen einfach unterschreibt und da nicht als «Gatekeeper» fungiert.

Gegen bürokratische Hürden

Denn wie bei den Hausärzten, die ja den Grossteil der Verordnungen von diplomierten Pflegenden unterschreiben, herrscht auch beim Pflegefachpersonal ein erheblicher Fachkräftemangel. Entsprechend haben weder Hausärzte noch Pflegende ein Interesse an unnötigen bürokratischen Hürden – und der Zwang zur ärztlichen Verordnung jeder pflegerischen Massnahme ist solch eine Hürde.

Beide Berufsgruppen folgen auch dem Motto «So viel wie nötig, so wenig wie möglich.» Warum?

Weil nur Patienten, die in ihrer Selbständigkeit und Gesundheit gefördert werden, diese auch erhalten oder ausbauen können. Jeder bürokratische Aufwand sorgt für Verzögerungen in der Behandlung von Patienten, für weniger Zeit am Patientenbett und schlussendlich für höhere Prämien aufgrund des Mehraufwandes von Ärzten sowie Pflegenden.

Kontrollen dürfen kein Selbstzweck sein

Kontrollen dürfen kein Selbstzweck sein, sondern sie müssen auch primäre Aufgaben erfüllen, etwa indem sie eine Informationsgrundlage bieten. Falls der Bundesrat, die Politiker sowie und Versicherungen dies nicht begreifen und ernst nehmen, werden die Kosten steigen.

Und zwar nicht nur wegen der demographischen Entwicklung. Sie werden steigen wegen dem Mangel an Fachpersonen, den bürokratischen Hürden und dem Unverständnis für pflegerische Tätigkeiten.

Der Beitrag ist am 11. Mai 2016 bei Medinside.ch erschienen.